Heute mit Schülern arbeiten, die an Portrait-Figuren von sich selbst bauen, morgen mit Architekten über den Bauplänen einer Kindertagesstätte hängen, dann an einem Daumenkino tüfteln, für das Figuren aus Fotografien mit PhotoShop in Bewegung versetzt werden: Wenn Erika Klagge von ihren Projekten erzählt, steht die Neugierde auf die ganze Breite des Lebens im Vordergrund. Mit Kindern, Lehrlingen und Handwerkern hat sie ebenso gern zu tun wie mit Künstlern, Architekten und Bürgermeistern. Für ihre Projekte im öffentlichen Raum oder auch im privaten Auftrag geht es ihr vor allem um eins: Dass die Nutzer und Anwender, seien es die Bewohner einer Hochhaussiedlung, Kitakinder oder Passanten eines Platzes, sich mit der Markierung des Ortes identifizieren können.                      

Erika Klagge ist zwar Bildhauerin, aber längst nicht mehr steht ihre Autorschaft an einer autonomen Skulptur im Vordergrund. Mit einem Vergleich aus der Musik lässt es sich am besten sagen: Sie spielt nicht mehr solistisch, sondern organisiert den Chor. Das ist ihr Konzept geworden: Der Gemeinsamkeit einen Ausdruck geben.   

Wie leicht und wie spielerisch dies geschehen kann, zeigt ihr 2007 ausgeführter Entwurf für eine Kindertagesstätte, die auf dem Gelände des ersten Berliner Flugplatzes in Johannisthal gebaut wurde und nach der ersten Fliegerin mit Pilotenschein, Melli Beese, benannt ist. Das Thema Fliegen und Schwerkraft lag also nahe. Erika Klagge, die zu dem Wettbewerb eingeladen war, wollte aber auch etwas schaffen, in dem die Kinder sich selbst wieder finden und das auf ihre unterschiedlichen Stimmungen reagieren kann. Sie baute gewölbte Spiegelobjekte, in denen die Kinder sich einerseits selbst beobachten können, anderseits aber die Welt Kopf stehen sehen und die Schwerkraft zumindest in der Imagination ausgehebelt ist. Mit Leben gefüllt wird die Form von den Kindern selbst.

Eine ähnliche Idee, nach einer Plattform für die Selbstrepräsentation einer Gruppe zu suchen, lag ihrem Projekt Marktplatz (2003) zugrunde: In Kooperation mit den Schülern einer Wilmersdorfer Gesamtschule entwickelte sie eine digitale Schülerzeitung, die über einen Beamer auf die Wände des Schulflurs projiziert wurde. Auch hier ging es wieder nicht um ein feststehendes Bild, sondern um eine für Veränderungen offene Struktur.

  Diese Eigenschaft, das statische Feststellen einer Ausdrucksform zu unterlaufen, spielte tatsächlich schon eine Rolle in den Skulpturen und Installationen, mit denen die Bildhauerin in den achtziger und neunziger Jahren noch mehr beschäftigt war. Da gab es zum Beispiel eine Skulptur aus Baubrettern, die ohne Befestigung in einem schwungvollen Bogen aneinander lehnten und nur durch das eigene Gewicht hielten. Sie waren ebenso sehr Skulptur wie temporäre Installation und entwickelten, wie die späteren öffentlichen Arbeiten, ihre Stärke auch aus ihrer Beziehung zur Umgebung. Und auch das Element, mit ihrer Kunst einen Auftrittsort zu schaffen, der dann von anderen benutzt werden kann, war in manchen Installationen gegenwärtig. Bei einem Skulpturenprojekt nahe des Lehniner Sees in Brandenburg legte Erika Klagge rote Teppiche über eine hölzerne Terrasse, die in das Wasser gebaut war – eine einladende und jeden Flaneur erhebende Geste.                        

So bildet die Öffnung gegenüber dem Kontext eine verbindende Linie zwischen den Skulpturen von Erika Klagge und ihren Projekten für den öffentlichen Raum: Die Arbeiten wollen nie für sich alleine wahrgenommen werden, sondern stets im Bezug zu etwas, sei es die Vergangenheit eines Ortes, das verborgene Innenleben eines Hauses, oder die Gegenwart deren, die mit ihren Arbeiten leben. Und weil diese Offenheit sie mit Inhalt füllt, sind sie in ihrer eigenen Materialität oft sehr zurückgenommen. Sie bilden nur den Rahmen für ein Ereignis, das andere bestimmen.

Katrin Bettina Müller

 

Katalogtext: Der Marianne-Werefkin-Preis 1990-2007 
Georg-Kolbe-Museum, Berlin 2009

     
     
     
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